Es verspricht ein interessantes und stürmisches Bilanzjahr zu werden. Lang geglaubte Selbstverständlichkeiten wurden von den Ereignissen weggewischt und wir tun uns schwer damit dies zu akzeptieren. Die Probleme in der Supply Chain glaubten wir schon hinter uns, müssen aber lernen, dass die Lage sich nicht entspannt hat, sondern noch sehr viel komplexer geworden ist. Mit dem Thema Corona wird die Welt leben müssen.

Zwei Großmächte führen Krieg gegen einen unterschätzten Gegner. Russland gegen die Ukraine und die westliche Welt. China glaubt den noch übermächtigeren Gegner Corona besiegen zu können. Beides hat nachhaltige Auswirkungen auf fast alle Aspekte unseres Lebens, die wir noch gar nicht absehen können. Die Kriegsberichterstattung aus der Ukraine oder von der Coronafront lenkt uns davon ab, über die Folgen nachzudenken.

Steigenden Rohstoffpreise und mangelnde Verfügbarkeit von Rohstoffen prägen das laufende Jahr und werden sich in unterschiedlicher Weise in den Ergebnissen der Unternehmen niederschlagen. Die Logistik-, Automobil- und Mineralölindustrie zeigen uns, dass man auch in Krisen gutes Geld verdienen kann. Entfallende Rabatte, Preiserhöhungen, bessere Steuerung der Ressourcen aufgrund von langen Lieferzeiten seien nur beispielhaft erwähnt. Die fehlende Auslastung der Fabriken wird durch großzügige Kurzarbeiterregelungen in guten Teilen aufgefangen. Gleichzeitig erfährt man kurzfristig auch noch, so man langfristig finanziert hat, eine Entlastung auf der Passivseite der Bilanz durch die stark angestiegene Inflation. Auch die bestehenden Tarifabschlüsse mit moderaten Lohnerhöhungen in 2022 tun ein Übriges. Es ist also zu erwarten, dass gut aufgestellte Unternehmen auch in 2022 ordentliche operative Ergebnisse abliefern werden. Alle trifft aber die Unsicherheit und die fehlende Planungssicherheit. Doch damit können die Großen besser umgehen als der unterfinanzierte Mittelstand.

Anders sieht es bei Unternehmen aus, die wenig Spielraum für Preiserhöhungen haben und die angestiegen Rohstoffkosten und stark angestiegenen Energiekosten nicht oder nur unzureichend weitergeben können (e.g. Chemie-, Stahl- und Schmiedebetriebe, Gießereien). Dies betrifft auch viele Automobilzulieferer, die nicht nur keine Preiserhöhungen durchsetzen können, sondern auch noch mit Kunden konfrontiert sind, die deutlich weniger abnehmen als eigentlich vereinbart und so auf vollen Lägern sitzen.

Die strukturellen Probleme im Mittelstand werden in 2022 und 2023 deutlich zutage treten. Steigende Zinsen, nicht planbare Energiekosten, Probleme in den Lieferketten, höhere Zahlungsausfälle und Absatzprobleme belasten die Bilanzen. Wobei die Absatzprobleme häufig nicht mit leeren Auftragsbüchern in Zusammenhang stehen, sondern ihre Ursache in den gestörten Lieferketten und unausgewogenen Vertragsgestaltungen haben.

Besonders prekär ist die Lage im Maschinenbau. Da Komponenten fehlen, können Maschinen nicht zu den vereinbarten Zeitpunkten ausgeliefert werden, was zu Pönalen und ggf. zu Schadenersatzforderungen führt. Hinzu kommt der Anstieg des Working Capitals, was in der Folge zu weiterem Finanzbedarf bei gleichzeitig ausbleibendem Umsatz führt. Eine sehr ungesunde Entwicklung, die die Banken häufig nicht mehr begleiten wollen oder können. Die Ausweitung der Verschuldung bei gleichzeitig stark steigenden Zinsen dürften den zu erwartenden Cash-Flow über Gebühr belasten. Die zwischenzeitlich wieder verhaltene Perspektive beim Auftragseingang verschärft die Lage, da, wie zu Beginn der Coronakrise, viele Investitionsentscheidungen ausgesetzt werden. Daneben erleben wir einen (politisch induzierten) technologischen Wandel im Automotivesektor, der in weiten Teilen eine grundlegende Neuorientierung verlangt. In 2023 erwarte ich deshalb eine deutliche strukturelle Bereinigung im Maschinenbau.

Aus bilanzieller Sicht wird aber noch ein anderer Aspekt interessant. Unternehmen mit Investitionen in Russland dürften derzeit in sehr intensiven schmerzhaften Diskussionen mit ihren Wirtschaftsprüfern sein, wie die Bewertung der Aktiva in Russland oder der Ukraine zu erfolgen hat und in welchem Umfang Abschreibungen in 2022 notwendig oder gestreckt werden können. Shell und Obi haben den Schlussstrich bereits gezogen. Auch Henkel musste einsehen, dass es keine Perspektive für das Russlandgeschäft gibt. Die Automobilindustrie versucht noch einen bilanzschonenden Ausweg zu finden (e.g. Continental, Mercedes, Renault). Nur in Ausnahmefällen dürfte es gelingen, das Russlandgeschäft fortzuführen. Neben den (strafrechtlichen) Embargorisiken sowie Reputationsschäden dürfte vor allem das Problem des Ausschlusses aus dem Zahlungsverkehr die Geschäfte nachhaltig beeinträchtigen. Es wird vermutlich eine ähnliche Situation wie im Iran eintreten. Damit entfällt die Fortführungsprognose und die sofortige Abschreibung sämtlicher betroffener Aktiva ist unvermeidbar. Zusätzlich belastet der entfallende Russlandumsatz das Geschäft. Da wird die ein oder andere Bilanz schwindsüchtig.

Aber auch in China besteht das Risiko, dass die Unternehmen auf Sicht aus dem Land gedrängt werden. Das Land hat die Coronakrise rücksichtslos genutzt, um die westlichen Führungskräfte aus dem Land zu treiben. Es ist damit zu rechnen, dass sich der Trend fortsetzen wird und damit steht zu befürchten, dass den Unternehmen die Kontrolle über ihre chinesischen Engagements entgleitet. VW hat dies Risiko kürzlich sehr vernehmbar öffentlich geäußert. Geopolitische Aspekte werden vermehrt Eingang in die Risikoberichte finden und Investitionsentscheidungen bestimmen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der Preisauftrieb bei der Energie und den Rohstoffen im zweiten Halbjahr 2022 abflacht und wieder mehr Planungssicherheit gegeben ist. Der Anstieg der Zinsen, die mittelfristige (politisch induzierte) Verteuerung der Energie und die strukturellen Brüche, die sich aus den geopolitischen Ereignissen in Russland und China ergeben, werden uns in Westeuropa mittel- wenn nicht sogar langfristig begleiten. Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen und ihr Geschäft neu ausrichten.

Christian Lotze
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