Fank P. Neuhaus - Spezialist für Brasilien mit Sitz in São Paulo

Brasilien ist bekannt als Land der Zukunft – nur dass die Zukunft nie in der Gegenwart ankommt. So oder ähnlich haben Sie diesen Satz wahrscheinlich schon mal gehört. In der aktuellen globalen Krise wird Brasilien natürlich nicht verschont.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das Land nicht unbedingt Ihren Fokus aktuell bekommt. Möglicherweise generiert Ihre brasilianische Niederlassung auch nur einen solch kleinen Beitrag für das weltweite Ergebnis Ihres Unternehmens, dass Sie das Land am Zuckerhut einfach vergessen.

Das wird sich in den meisten Fällen als schwerer und teurer Fehler herausstellen!

In meinem heutigen Beitrag möchte ich Ihnen die ersten Fragestellungen, Gedanken und Beobachtungen zu diesem Thema darlegen. In einem weiteren Beitrag, welchen ich in wenigen Tagen online stellen werde, möchte ich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten, um die aktuelle Zeit der Covid-19 Krise kreativ zu nutzen, um schon gleich zu wissen, was nach dem Neustart ganz handfest gemacht werden soll.

Bitte bedenken Sie dabei. Neustart kann alles bedeuten – von einem neuen Geschäftsmodell bis zur Schließung. Und eines ist auch ganz wichtig: Es beginnt nicht mit Digitalisierung  – es beginnt mit Führung!

Lassen Sie uns mit drei Fragen beginnen.

(1) Wie war die Lage in Ihrer brasilianischen Niederlassung vor Covid-19? (2) Hat die Krise im lokalen Management schon was verändert? Und (3) Kann man daraus etwas für die Zukunft ableiten?

Es kann jetzt also darum gehen, auf neue Erkenntnisse und Erfahrungen aufzubauen und die Innovationskraft auch in Ihrer lokalen Niederlassung wieder zu entdecken. Möglicherweise kann Ihre Niederlassung sogar als Labor dienen.

In solchen Projektsituationen befanden wir uns regelmäßig schon in früheren Zeiten, als Brasilien aus einer Krise heraus ganz neue Aspekte innerhalb des traditionellen Geschäftsmodells entwickelte und wenig später diese Modelle global angepasst und eingeführt wurden.

In dieser Phase ist nun eines ganz wichtig: Es werden Führungsinstrumenten benötigt, die vom Management auch eine gewisse Zurücknahme erfordern. Lassen Sie eine Besinnung zu: Was lief schon vorher schlecht?

Hat zu wenig Kundenorientierung den Erfolg gebremst?

Wenn Sie Ihre brasilianische Niederlassung besucht haben, hörten Sie manchmal von den brasilianischen Kunden, dass Schnelligkeit und Flexibilität fehlte? In 10 von 10 Fällen wurde dann der lokale Geschäftsführer und Vertriebsleiter einem ernsten Gespräch unterzogen. Zu Recht!

Aber wie häufig wurde in einem mehr oder weniger ausgeprägten Säulen-Denken der lokalen Mitarbeiter nur einfach das durch das Mutterhaus vorgegeben Geschäftsmodell mit der entsprechenden Kundenansprache kopiert? Somit wurde das gesamte Engagement der lokalen Führungskräfte stark auf das Wohlgefallen seitens der Geschäftsleitung im Mutterhaus ausgerichtet. Ziel des Mitarbeiters war es, für sein Verhalten belohnt zu werden.

Wie groß war die Selbstzufriedenheit, welche dann zu einem Stillstand führte?

Unternehmenskulturen wurden in Brasilien häufig nicht aktiv weiterentwickelt. Beispielsweise haben vor allem Unternehmen welche vor der Marktöffnung nach Brasilien kamen, also noch in den Zeiten der Militärregierung, quasi Monopole entwickelt. Nach der Re-Demokratisierung und Marktöffnung haben nicht wenige dieser Unternehmen viel zu lange an alten Konzepten und Paradigmen festgehalten. Einige sind schnell daran zugrunde gegangen, andere haben evolutionäre Anpassungen versucht und „irgendwie" bis heute überlebt. Nicht selten sind diese Auslandsniederlassungen sogar in eine „quasi-Vergessenheit" geraten.

Hat sich Ihr Horizont auf die brasilianische Niederlassung in den letzten Jahren verkleinert?

Erlauben Sie mir, das Thema auch hier sehr direkt auszudrücken. Die früheren Erfolge in den Stammmärkten, und nicht selten auch China, haben dazu geführt, dass es sich so mancher Manager darauf wie auf einem Sofa bequem gemacht hat.

Die post-modernen Industriegeschäftsmodelle haben so manches dabei aus den Augen verloren, da die früheren Erfolge ja hervorragend oder zumindest offensichtlich ausreichend waren. So wurden die Entwicklungen des brasilianischen Marktes häufig nicht ernst genommen und Wettbewerber aus den Augen verloren.

Was war immer das gefährlichste Denken, welches wir in fast jedem Projekt beobachten konnten?

Die Chancenorientierung ist häufig nicht der erste Gedanke, den Entscheider haben. In Deutschland lautet bis heute die erste Frage zumeist: Was könnte passieren, wenn…? Hier wird die Verantwortung hinterfragt, der Datenschutz abgeklopft, Sicherheitsmaßnahmen geprüft. German Angst ist auch in Unternehmen weit verbreitet.

"Wer wagt, gewinnt!" ist doch eigentlich ein altes deutsches Sprichwort. Aber dieses einfach mal machen – das fehlt inzwischen vielen Organisationen aus Deutschland. Wir haben regelmäßig auch Mandanten aus Nordamerika – dort ist das ganz anders, auch wenn es ich wie ein Klischee anhört.

Kann man von Brasilien, als eines der erfahrensten Länder in Krisenmanagement, für die Zeit nach der Corona-Krise lernen?

Macht führt nicht zu klugen Entscheidungen, sondern Vertrauen auf lokale Expertise.

In der Bankenkrise hat die Politik gelernt, den Experten zu vertrauen; in der Corona-Krise wird sich in der Anfangsphase vorrangig auf den Rat von Virologen verlassen.

Nun kommen auch Wirtschaftslenker immer stärker zu der Überzeugung, dass das Vertrauen auf die Expertise des Einzelnen in den Niederlassungen elementar ist. Das war schon immer der Schlüssel für den Erfolg einer erfolgreichen Reorganisation oder Restrukturierung.

Der Weg führt weg von zentralen Entscheidungen. Organisationen bleiben heutzutage nur im Rennen, wenn sie sich schnell an das sich verändernde Umfeld anpassen. Das setzt Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Methoden voraus.

Können wir uns die Abhängigkeit vom Ausland in der gewohnten Form länger leisten?

Nun werden Sie mit Sicherheit an die Abhängigkeit von globalen Lieferketten Ihres Mutterhauses denken. Aber das gilt im gleichen Masse auch für die brasilianische Niederlassung!

Hier erfordern massive und schnelle Wechselkursschwankungen eine höhere nationale Produktion und die Entwicklung von lokalen Lieferanten. Die weltweite Pandemie mit all ihren Einschränkungen führt zu immensen Lieferengpässen an Rohstoffen und Materialien, die zur Produktfertigung in Deutschland notwendig sind. Hier sind Auflagen inzwischen viel zu kompliziert, zu vielfältig, die Kosten dadurch einfach zu hoch. Mit dem Ergebnis, dass die Produktion dann eben auch mal ganz ausfällt.

Denken Sie nun an eine stärke Integration Ihrer eigenen brasilianischen Niederlassung, wie auch an die Unterstützung für Know-how Transfer und die Entwicklung lokaler Lieferanten für Ihre Niederlassung. Globalisierung hieß bis Anfang der neunziger Jahre nicht nur den billigsten Lieferanten zu finden. Die Idee der Globalisierung war breiter aufgestellt und in ihrer Ausprägung reicher. Das kann man ruhig wiederentdecken!

Und hier das größte Problem!

Die immer weiter ausufernde Vervielfachung der Bürokratisierung und des sehr deutsche Perfektionierungs- und Kontrollwahn passen nicht gut zu den Jobs der Neuzeit.

Glauben Sie mir!

Seit gut zwei Dekaden arbeite ich mit Mandanten aus Nordamerika, Europa sowie der DACH-Region zusammen. Das gute der deutschen Arbeitsweise mit der Dynamik und Improvisationskraft anderer Kulturen zu verbinden ist ein massiver Erfolgsfaktor. Und genau in den Punkten Führung in Krisen, improvisieren und schnelles Handeln ist Brasilien sehr gut.

Die Lösung gibt es.

Als ich vor gut 25 Jahren in einem Joint Venture eines europäischen Aufzugs- und Fahrtreppenbauers als Projektmanager arbeitet, lernte ich ein wenig Chinesisch. Danach habe ich von meiner Frau noch mehr über China und die Sprache gelernt – sie ist Sinologin.

Somit lernte ich, dass das chinesische Zeichen für Krise auch aus dem Wort Chance besteht.

Krisen bringen immer auch das Beste in Menschen hervor. Wie es selbst die ärgsten Skeptiker unter den Führungskräften gerade beim Thema remote working erleben: Solidarität, Anpassungsfähigkeit, Kreativität – die Umstellung funktioniert – viel schneller als gedacht. Wer hat sich schneller an diese Arbeitsweise gewöhnt? Brasilien oder Deutschland? Wo hören Sie mehr das frustrierende „... geht nicht! ... ."?

Organisationen müssen sich aber deutlich weiter und schneller verändern. Mitarbeiter brauchen Vertrauen statt Kontrolle: und das können Führungskräfte ihnen schenken, wenn sie selbst die Sicherheit darüber gewinnen, dass ihre Leute die Arbeit können.

Was ist also unsere Herausforderung  – was soll uns die post-Covid-19-Zukunft bringen?

Wir sollten unterschiedliche Welten für die Besten in den Organisationen überall entstehen lassen.

Was man jetzt schon beobachten kann ist, dass Führungskräfte sich darauf einstellen müssen, künftig mit abermals weniger Mitarbeitern arbeiten zu müssen, die aber fast alle hoch qualifiziert sind. Temporär werden für Sonderaufgaben externe Spezialisten immer mehr hinzugezogen.

Für die internen und externen Experten müssen Biotope geschaffen werden, in denen solche Experten effizient arbeiten – auch fachübergreifend. Diese Biotope werden in vielen Fällen nur temporär bestehen oder sich in einem schnellen evolutionären Prozessfluss anpassen.

Suchen Sie Personal nicht einzig und allein nach dem Lebenslauf aus, um jemanden zu finden, der genau das gleiche gemacht hat, was Ihre Organisation schon kann!

Wir haben bei uns in Brasilien schon die ersten Projekte, gerade bei multinationalen Unternehmen der Automobilindustrie, wo mit Cross-funktionalen Kleinstteams zukünftige Projekte vorbereitet werden um beim Hochlaufen keine Zeit zu verlieren. Diese Projekte gehen über den Anspruch zur kontinuierlichen Verbesserung deutlich hinaus.

Eines wird von allen diesen Firmenlenkern, egal ob aus Frankreich oder Nordamerika wie auch Brasilien, bei denen wir in solchen strategischen Kleinprojekten aktuell im Einsatz sind, ganz offen zum Ausdruck gebracht: Zu lange haben wir immer nur auf Shareholder Value geschaut, statt Innovationen zu ermöglichen.

So wurden bei fast allen lokalen Zulieferern in Brasilien auf Druck der Automarken die Entwicklungsabteilung massiv reduziert oder sogar geschlossen. Es sollten Kosten gespart werden und diese Einsparung an die Hersteller weitergegeben werden.

Die dauerhafte Suche nach Erneuerung, nach neuen Produkten oder Dienstleistungen sollte als Rückbesinnung auf alte Tugenden neu belebt werden.

Innovationsmanagement bedeutet auch und vor allem, nicht zu früh aufzugeben und nicht Globalisierung einzig und allein auf das Thema Kostensenkung zu begrenzen. Damit frustrieren Führungskräfte ihre klügsten Köpfe und verhindern Fortschritt – überall.

Wir sind uns sicher, und dass nicht erst seit Covid-19, wer die Angebote von morgen am schnellsten entdeckt und marktfähige Produkte daraus entwickelt, wird nicht mehr eingeholt.

Dabei ist die Kreativität Brasiliens ein strategisch-komparativer Vorteil, wenn er aktiv eingebunden wird. Gerade in Zeiten von Krisen ist Brasilien mit seinen sehr erprobten Professionals in der Krisenbekämpfung und dem Blick nach vorne ein Jungbrunnen.

Bei sehr vielen deutschen Unternehmen in Brasilien, seien es mittelständische Firmen oder multinationale Großunternehmen, sind viele tausend gute innovative Ideen durch nicht marktorientierte Manager wegentschieden oder schlechtgeredet worden. Das geschah fast immer in den Budgetgesprächen und der Definition der Bonusvereinbarungen für das nachfolgende Geschäftsjahr. Kosten wurden häufig nur als Risiko wahrgenommen.

Führung steigt, Management sinkt.

Diese Notwendigkeit ist nicht erst eine mögliche Erkenntnis aus Covid-19. Wir beobachten diese Entwicklung seit vielen Jahren und arbeiten genau in diese Richtung. Besonders bei erfolgreichen Reorganisations- und Restrukturierungsprojekten ist die Tendenz zu Führung und weniger Management zu erkennen. Management ist hier im Kontext des englischen Wortes "Administration" zu verstehen.

Interne Strukturen und Prozesse werden künftig von den Teams weitreichend selbst definiert und intern geführt, hier findet Management statt. Jeder Einzelne, den die Führungskraft einsetzt, wird nun wirklich wichtig. Die Verantwortung wird wirklich weitergegeben, indem die Mitarbeiter in ihrem Willen gestärkt werden, Verantwortung freiwillig und gerne zu übernehmen.

Die Lösung wie wir sie sehen und robust nachweisen können.

Die Führungskraft von morgen ist nicht mehr der „Bestimmer", er oder sie ist „Enabler": Diese Person coacht die Mitarbeiter  – und das nicht in dem häufig verwendeten weichen und manchmal „menschlich-romantischen" Ansatz, sondern als Person, die die Mitarbeiter zu besseren Leuten macht als die Führungskraft selbst! Diese Person beseitigt Hindernisse und schafft in der neuen Rolle als Inspirator mehr Erfolgsmodelle als zuvor durch pure Motivation.

An dieser Stelle wird die Evaluierung der Resultate, deren Steuerung und die Fähigkeit zum Nein-sagen sehr wichtig. Das Nein bedingt an den richtigen Stellen dann das Ja – auf geht´s! 

Frank P. Neuhaus
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