Die Zukunft der Arbeit ist zweifelsfrei digital. Man kann aber schon das Gefühl bekommen, dass alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, digitalisiert wird. Unternehmen verlieren häufig Maß und Mitte. Dabei gerät nicht selten etwas ganz Entscheidendes aus dem Blick: Nämlich, dass Digitalisierung im ersten Schritt erst einmal Geld kostet und gegenfinanziert werden will. Im folgenden Beitrag überlasse ich Ihnen meine Überlegungen dazu – im ersten Teil mit einer Spezifikation für den HR-Bereich.

WICHTIGES VORAB: UNTERNEHMEN VERZETTELN SICH

In Folge des Digitalisierungs-Overkills kommt eine Studie vom Büro-Kaizen® aus dem Jahr 2018 unter anderem zu folgenden Ergebnissen:

(1) 30 % Produktivitätsverlust durch ineffiziente Arbeitsorganisation

(2) Weniger als 50 % der Befragten kann konzentriert arbeiten

(3) 84 % haben den Eindruck, zu viel zu arbeiten, ohne das es genügt

(4) Mehr als 40% der Befragten bearbeiten E-Mails auch im Bett

(5) Über 50 % ist von der permanenten Erreichbarkeit gestresst

Wir kennen das alle:

Permanenter E-Mail-Wahnsinn, wo man bei jedem noch so unwichtigem Thema in CC gesetzt wird. Parallel dazu SMS, WhatsApp, Chat-Nachrichten, Benachrichtigungen aus Teams-Kanälen, Einladungen zu Share Points usw. Dazu Telefonanrufe auf dem Festnetz, parallel klingelt das Mobiltelefon, die Hauspost wird gebracht und der digitale Rechnungseingangs-Workflow mahnt die Bearbeitung an. Der helle Wahnsinn.

Als vorläufiges Fazit kann festgehalten werden, dass die Mitarbeiter laut der Studie die Zeche der Digitalisierung zahlen – mit einem Überstundenanstieg um 30 %. Dieser dürfte sich zum einen in der permanenten Erreichbarkeit begründen und der sinkenden Produktivität durch Multi-Tasking einhergehend mit einer zu großen Digitalisierungs-Projektdichte.

Damit wären wir bei einer weiteren Aufwandsposition, die es einzuspielen gilt: Den Überstunden. Der Gesetzgeber hat auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Dokumentation der Arbeitszeiten bis dato nicht reagiert. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes macht klar, dass die Dokumentation der Arbeitszeiten aus Arbeitgebersicht einer hohen Bedeutung zukommt. Unterschätzen Sie die Kosten der permanenten Erreichbarkeit nicht. Zuführungen zur Überstundenrückstellung machen sich meist erst im 13. Monat bemerkbar oder schlagen sich in höheren Krankheitsquoten nieder.

Deshalb ist auch in diesem Kontext wichtig, Digitalisierung smart und in Etappen und somit für die Belegschaft noch beherrschbar zu betreiben.

Das erlebe ich bis heute:

Mitarbeiter können zum überwiegenden Teil noch nicht einmal mit Outlook umgehen. Urlaube werden nicht eingetragen, Abwesenheiten nicht kenntlich gemacht (Funktion „Beschäftigt", „Frei", „Abwesend", „Unter Vorbehalt" etc.) und Fahrtzeiten werden auch nicht vermerkt. Alles mit der Folge, dass der Zeitaufwand für die Terminkoordination steigt und unnötige Rückfragen entstehen. Auch die einfache Funktion, andere Kalender einzusehen (zumindest ob Zeiten gebucht sind oder nicht), ist vielen nicht bekannt.

Deshalb: Weniger ist mehr!

Erst einmal die Mitarbeiter auf die gängigen Tools schulen und festlegen, wie damit umgegangen werden muss. Sie bezahlen sonst für Standardsoftware, aus denen Ihre Mitarbeiter nur zum Teil die gewünschten Effizienzvorteile generieren. Dies sollte auch Teil des Onboardings sein. Man kann leider nicht voraussetzen, dass das jeder kann. Mails verschicken funktioniert, danach wird es oft dünn.

„Die Frage ist nicht Digitalisierung ja oder nein, sondern wieviel Digitalisierung für welche Unternehmensgröße in welcher Situation notwendig ist."

Praxistipps:

(1) Gar nichts zu machen ist keine Option: Es geht auch um die Teilnahme am Geschäftsleben! (E-Mail, XRechnung, Videokonferenzen, Home-Office etc.)

(2) Nicht alles was digitalisiert werden kann, muss auch digitalisiert werden – Augenmaß und Wirtschaftlichkeit sind gefragt!

(3) Was passt zu Ihrem Unternehmen? Wo verlieren Sie Mitarbeiter unter Umständen auf der Reise in die digitale Welt?

(4) Versuchen Sie nicht alles gleichzeitig zu digitalisieren

(5) Nutzen Sie die Digitalisierung gezielt, anstatt zu Ihrem Spielball zu werden. Fokussieren Sie sich je Fachbereich und übergeordnet zu Beginn auf wenige Tools, für die Ihre Mitarbeiter aber fit machen, begeistern und das Beste aus den Applikationen herausholen! So gewinnen Sie auch die Akzeptanz für die weitere Digitalisierung Ihrer Prozesse.

(6) Holen Sie aus den bestehenden Tools mindestens 80% raus, bevor Sie mit dem nächsten Thema starten

(7) Nehmen Sie den Perspektivwechsel vor: Was nützt Ihren Stakeholdern (in erster Linie Ihren Kunden, dann Ihren Mitarbeitern und internen Prozessen, Ihren Kreditgebern etc.)? Denken Sie vom Markt her!

(8) Entlasten Sie Ihre Mitarbeiter insbesondere von stupiden, wiederkehrenden Aufgaben (postalische Rechnungen öffnen, Termine vereinbaren, Geld kassieren, Personalakten herumtragen, Mahnvorschlagslisten mühsam erstellen und verschicken u. v. m.)

(9) Digitalisierung kostet Geld (Einführungskosten, Lizenzen, AfA, Support etc.): Verschaffen Sie sich vor jedem weiteren Einführungsschritt einen konkreten Kostenüberblick und fordern Sie die entsprechende Gegenfinanzierung ein. Die kann auch darin liegen, dass die Mitarbeiter mehr Zeit für andere wichtige Themen haben – die es aber zu benennen gilt! Wer die monetäre Gegenfinanzierung nicht beantworten kann, muss darlegen, wo der Zeitgewinn die Qualität erhöht oder andere brachliegende Themen mit entsprechender Relevanz angegangen werden können.

DIGITALE TRANSFORMATION IM HR-MANAGEMENT

Die Digitalisierung erreichte schon vor Längerem auch die Personalarbeit. Die Entwicklung vollzog sich dabei in mehreren Etappen:

Digitalisierung 1.0

Erste Informationen, die bislang nur in analoger Form ohne computerbasierte Systeme vorhanden sind, wurden digitalisiert. In der Regel umfasst dieser Schritt die Digitalisierung physischer Personalaktenbestände.

Digitalisierung 2.0

Dezentrale Informationen werden in einem Personalmanagement-System digital abgebildet (z. B. Entgeltabrechnungen, Korrespondenz, Daten und Fristen u. v. m.)

Digitalisierung 3.0 (hier sollte man heute stehen!)

Personalmanagement-Software erlaubt HR-Abteilungen Prozesse abzubilden, z. B. das Recruiting, das Onboarding, Befristungen zu überwachen, rechtzeitig an ablaufende Probezeiten zu erinnern, Termine für Pflichtuntersuchungen einzuhalten etc.

Digitalisierung 4.0

Mitarbeiter werden integraler Bestandteil der digitalen Systeme und in Prozesse einbezogen (mit Freigabeworkflow). Administrative Arbeiten erledigt der Mitarbeiter selbst. Die Eingabe in ein Master-System stößt alles Weitere an (z. B. Eingabe Vertragsende > Stopp Zahllauf > Abmeldung Krankenkasse > Workflow Zeugniserstellung > u. v. m.

Die Nachfolgende Abbildung zeigt, in welcher Reihenfolge man vorgehen sollte (Quelle: Ulf Camehn):

Starten Sie die Digitalisierung Ihrer Personalarbeit mit dem „Bewerbermanagement". Dieses Modul beinhaltet das automatische Schalten von Stellenanzeigen auf Ihrer Website und diversen im Vorfeld zu hinterlegenden Stellenportalen. Zudem können Sie sogenannte Recruitings-Teams zu jeder ausgeschriebenen Stelle hinterlegen, mit Ihren Kollegen die eingehenden Bewerbungen bewerten, kommentieren und am Ende auch automatisierte Eingangsbestätigungen, Zwischenbescheide und Absagen verschicken. Wenn Sie sich für einen Mitarbeiter entscheiden, können die personenbezogenen Daten automatisch ins Personalmanagementsystem übernommen werden.

Das „Personalmanagement" ist das Herzstück der digitalen Personalarbeit. Das zuvor beschriebene Bewerbermanagement kann Bestandteil der Personalmanagement-Software sein, muss es aber nicht. Sie finden am Markt auch eigenständige Recruiting-Tools/Bewerbermanagement-Systeme.

Das Modul „Digitale Personalakte" ist i. d. R. ebenfalls integraler Bestandteil eines Personalmanagement-Systems. Die Digitalisierung von 1.300 Personalakten habe ich erst kürzlich für eine Automobilhandelsgruppe umgesetzt. Rechnen Sie mit einer Umsetzungsdauer von gut 4 Monaten (inkl. Auswahl des Scandienstleisters, Festlegung der Ordnerstruktur innerhalb der digitalen Personalakte, Festlegung der Dokumentenarten je Ordner sowie eine ggf. notwendige Beauftragung der Schnittstelle zum einmaligen Einspielen der Daten). Vergessen Sie an der Stelle von vornherein den Gedanken, dass das Scannen jemand aus Ihrer Belegschaft machen könnte.

Das Modul „Ausbildungsmanager" empfiehlt sich meiner Erfahrung nach ab ca. 100 Auszubildenden. Irgendwann kommt das Ausbildungswesen an einen Punkt, an dem Veränderungen des Azubi-Einsatzplanes mit Excel nur mit viel Aufwand zu bewerkstelligen sind.

Die Königsdisziplin des Personalwesens ist die „Personalentwicklung". Der Digitalisierung dieses Prozessschrittes sollte man sich erst dann widmen, wenn die Basics umgesetzt sind.

Den „Zeugnismanager", zum Beispiel von Haufe, hat sowieso fast jeder im Einsatz. Entsprechend kann man leicht und ohne lange Vorlauf- und Umsetzungszeiten den Beginn (Bewerbermanagement) und das Ende der Mitarbeiter-Journey (Offboarding und Zeugnismanager) digital abbilden.

EXKURS BEWERBER- UND PERSONALMANAGEMENT​

Nehmen Sie den Perspektivwechsel vor!

Nicht nur die Generation Y, aber diese ganz besonders, erwartet moderne Bewerbermanagement-Systeme. Im Jahr 2020 gehörten bereits gut 50% der Arbeitnehmer der Generation Y an:

Jeder Zielgruppe erwartet eine andere Digitalstrategie!

Das beste Bewerbermanagement-System bringt nichts, wenn ich mir keine Gedanken mache, wo ich meine Bewerber erreiche! Unterschiedliche Zielgruppen finden sich mitunter auch in verschiedenen sozialen Netzwerken.

Beispiel:

Gewerbliche Mitarbeiter = tendenziell eher in Facebook

Auszubildende = z. B. Instagram, YouTube

Kaufmännische Mitarbeiter = XING, LinkedIn


Die Erwartungshaltung der Bewerber steigt!

Ein paar Bilder sagen mehr als tausend Worte (Quelle: softgarden):

Machen Sie es den Bewerbern einfach!

Gute Bewerbermanagement-Systeme bieten dem Bewerber die Option an, die Profildaten von XING und LinkedIn zu importieren. Wer als Unternehmen bei XING eine Stellenanzeige aufgibt, kann als Option auch den Bottom „Bin interessiert! Kontaktieren Sie mich gern." hinzufügen. Und bei Michael Page registrierte Kandidaten können sich über die sogenannte „1-Klick-Bewerbung" mit nur einem Mausklick auf eine Stelle bewerben.

Unterstellen Sie solchen Bewerbern bitte nicht, dass diese kein echtes Interesse an der Stelle hätten. Natürlich steigt die Quote der Sofa-Bewerbungen. Aber auch die Quote der sehr ernsthaft Interessierten. Viele Berufstätige sind viel unterwegs, sind Pendler oder haben zudem auch noch familiäre Verpflichtungen. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen die Hürde möglichst niedrig hängen.

Sie sollten sich deshalb bitte nur für eine Recruiting-Software entscheiden, die derartige Möglichkeiten bereithält!

Das leisten moderne Bewerbermanagement-Systeme

Folgende Anforderungen sollte Ihr zukünftiges Bewerbermanagement-System erfüllen:

(1) Stellenanzeigen schalten

(2) Anbindung an Jobbörsen, soziale Netzwerke und eigener Homepage (Multi-Posting)

(3) Übernahme von E-Mail- und postalischen Bewerbungen

(4) Einfache und schnelle Bewerbung, zum Beispiel durch Übernahme des Profils aus sozialen Netzwerken

(5) Automatisierte Eingangsbestätigungen, Zwischenbescheide, Einladungen und Absagen

(6) Empfehlungsmanager: Mitarbeiter teilen offene Jobs mit wenigen Klicks in ihrem privaten Netzwerk

(7) Bildung von Recruiting-Teams: „Einladung zur Besetzung dieser Stelle"

(8) Online-Zugriff über alle Endgeräte

(9) Terminierung von Vorstellungsgesprächen ohne Systemwechsel

(10) Komplette Korrespondenz mit dem Bewerber in einem System

(11) Generierung vollständiger Bewerberakten als PDF aus unterschiedlichen Dokumententypen

(12) Abbildung des internen Stellenmarktes

(13) Statistiken und Auswertungen zu Kosten, Dauer des Bewerbungsverfahrens, Anzahl der Bewerber u. a.

(14) Feedbackfunktion

(15) Erstellung von Arbeitsverträgen (auch Azubi-Verträge) und automatische Übergabe in nachfolgende Systeme

(16) Einhaltung der Datenschutzrichtlinien

Das leisten moderne Personalmanagement-Systeme:

(1) Datenübernahme aus dem Bewerbermanagement

(2) Hinterlegung von Mitarbeiterinformation (Fähigkeiten, Eigenschaften, Qualifikationen)

(3) Hinterlegung der persönlichen Stammdaten, der Abteilung, der Verteilschlüssel, der zu besuchenden Pflichtuntersuchungen etc.

(4) Datenbasis für Briefe und E-Mails

(5) Erweiterbar um diverse Module (z. B. Bewerbermanagement, Digitale Personalakte, Ausbildungsmanager, Personalentwicklung, Zeugnismanager)

(6) Voraussetzung für die dezentrale Datenpflege (Employee-Self-Service für die Änderung der Stammdaten, Urlaub, Fehlzeiten, Zeugniserstellung etc. durch Integration der Fachabteilungen mit Freigabeworkflow)

(7) Automatischer Mailversand bei Workflowaktivitäten, z. B. neuer Mitarbeiter > Handy > Schlüssel > Dienstwagen > Tankkarte etc.

(8) Basis für statistische Auswertungen, Erstellung von Geburtstagslisten und Jubiläen

FAZIT:

Die Vorteile eines modernen Personalmanagements liegen auf der Hand:

(1) Zeitersparnis

(2) Produktivitätsgewinn

(3) Arbeitgeberattraktivität

Wer sein Personalwesen noch nicht digitalisiert hat, führt sich bitte vor Augen, wieviel Zeit seine Mitarbeiter/innen damit verbringen, Stellenanzeigen aufzugeben, eingehende Bewerbungen zu bearbeiten und zu beantworten, Daten aus den Bewerbungsunterlagen in andere Systeme zu übernehmen (z. B. Entgeltabrechnung), Personalakten zu suchen, Unterlagen daraus zu kopieren, Termine wie Probezeitenden und Befristungen nachzuhalten, fällige Pflichtuntersuchungen zu initiieren, Krankenrückkehr- und BEM-Gespräche zu koordinieren u. v. m. Die Aufzählung ließe sich fast unendlich fortsetzen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich leistungsfähige Personalmanagement-Systeme nicht von selbst umsetzen und es der Bereitstellung von Ressourcen bedarf.

Praxisbeispiel für den Einsatz von Interim Managern

In der Vergangenheit durfte ich schon mehrfach die Ausschreibung für das passende Personalmanagement-System vornehmen, Bewerbermanagement-Systeme einführen, die Digitalisierung von Personalaktenbeständen umsetzen und Entgeltabrechnungen outsourcen.

Der größte Vorteil für Unternehmen ist die Umsetzungsgeschwindigkeit. Und die Gewissheit, dass am Ende das Ergebnis passt. Spezialisierte Interim Manager kennen die Komplexität der Personalarbeit, binden Ihr Team in das Projekt ein, beraten zur Re-Organisation der Personalwesens und kennen die Dienstleister am Markt. Und: Die eigenen Ressourcen werden geschont. Der Interim Manager als zusätzliche Management Ressource setzt derartige Projekte mit einem Minimum an Zusatzbelastung für die eigene Belegschaft um.

Ulf Camehn
Profil bei UNITEDINTERIM

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