Alles digital anno 2028?

An Artikeln, Studien und Umfragen, die sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Bereich Finanzen beschäftigen, herrscht wahrlich kein Mangel. Auf zwei, aus meiner Sicht sehr lesenswerte Studien, möchte ich aber dennoch kurz hinweisen.

Die Studie zur Automatisierung von Serviceprozessen in der kaufmännischen Verwaltung von Horváth & Partners beschäftigt sich mit den Potenzialen der robotergestützten Prozessautomatisierung (Robotic Process Automation, RPA). Auf der einen Seite werden die enormen wirtschaftlichen Potenziale thematisiert. Effizienzgewinne zwischen 20 und 30 Prozent seien hier zu erzielen. Auf der anderen Seite werden aber auch die großen Herausforderungen bei der Umsetzung kritisch beleuchtet.

Etwas umfassender befasst sich die Studie „Digital Finance“ von KPMG mit den möglichen Entwicklungen im Bereich Finanzen. Insbesondere wird hier herausgearbeitet, wie sich das Rollenverständnis und das Aufgabenspektrum des CFO-Bereiches ändern könnte. Die klassischen Aufgaben des Finanz- und Rechnungswesens nehmen ab, Einkaufs-, Verkaufs- und IT-nahe Themen (End-to-End-Prozesse) kommen hinzu. Darüber hinaus gewinnt das unternehmensweite Datenmanagement an Bedeutung sowie vermehrt strategische und analytische Aufgabenstellungen.

Wie könnte der Bereich Finanzen in 10 Jahren denn nun aussehen? Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft.

Eine Utopie – oder doch eher Dystopie

  • Das Rechnungswesen ist durch standardisierte Prozesse und robotergestützte Prozessautomatisierung vollautomatisiert. Die Buchhaltung ist durch ihre regelbasierten, repetitiven Tätigkeiten geradezu prädestiniert für die Standardisierung von Prozessen und die Automatisierung.
  • Heute noch Anstrengungen beim Fast Close, zukünftig kein Problem mehr – Monats-, Quartals- und Jahresabschlüsse sind einen Tag nach Beendigung der jeweiligen Periode bereits aufgestellt. Durch den hohen Grad an Standardisierung und Automatisierung wird auch die Prüfung nur noch wenige Tage in Anspruch nehmen.
  • Den klassischen Buchhalter, den wir heute kennen, gibt es nicht mehr. Es wird allenfalls noch einige Spezialisten geben, die sich mit komplexen Bilanzierungsthemen beschäftigen und wenige Spezialfälle bearbeiten.
  • Self-Service Reporting bzw. BI in real-time ist zum Standard geworden. Jeder Manager kann zu jeder Zeit die für ihn relevanten Daten in Echtzeit abrufen. Ob am PC oder über mobile Endgeräte, da alle Daten in der Cloud liegen, ist der Ort irrelevant. Transaktionale Aufgaben wie das Reporting entfallen daher im Controlling.
  • Komplexe und langwierige Budgetrunden sowie aufwendige Forcasting-Prozesse, basierend im Wesentlichen auf Daten der Vergangenheit, gehören ebendieser an. Mit Hilfe von Predictive Analytics werden große Datenmengen, strukturierte und unstrukturierte sowie interne und externe Daten, ausgewertet und automatisiert Forecasts erstellt und Zielvorgaben abgeleitet.
  • Den Controller derzeitiger Prägung, der sich zu einem wesentlichen Teil mit der Sammlung und Aufbereitung von Daten beschäftigt, wird es ebenfalls nicht mehr geben. An seine Stelle sind auf der einen Seite Data Scientists getreten, die mit statistischen Methoden Algorithmen zur Mustererkennung programmieren. Die anderen haben sich nun wirklich zu Business Partnern entwickelt, die sich mit strategischen Fragestellungen, Szenarien und Simulationen zur Geschäftsentwicklung befassen.
  • Und schlussendlich wird sich auch die Art und Weise, wie man im Bereich Finanzen mit IT-Systemen arbeitet, in 2028 stark gewandelt haben. Die gute alte Tastatur als Schnittstelle zu den Anwendungen fristet nur noch ein Nischendasein. Kommuniziert wird hauptsächlich per Sprachsteuerung oder über Gesten.

Ob man dieses Szenario nun utopisch oder eher dystopisch empfindet, kommt auf den Blickwinkel an.

Und die Realität

Wenn Sie jetzt denken, der Soll schaut zu viel Science-Fiction-Filme, dann haben Sie einerseits sicherlich Recht. Ich mag dieses Genre halt.

Lassen Sie uns aber andererseits einmal ein paar Beispiele aus der Praxis anschauen.

  • Die SAP SE hat vor einigen Jahren den Digital Boardroom eingeführt, der dazu dient, die Teilnehmer an Management-Meetings mit konsistenten und aktuellen Informationen zu versorgen. Die Zeit der PowerPoint-Schlachten, bei der dann doch wieder wichtige Informationen fehlen, ist hier vorbei. (1)
  • Bei der Beiersdorf AG wir derzeit ein Self-Service BI System entwickelt, das zukünftig auch sprachfähig sein soll. Manager werden hier direkten Zugriff auf ein flexibles Reporting, Planungslösungen und ein standardisiertes Forecasting haben. (1)
  • Die BASF hat auf Basis von Predictive Analytics ein maschinelles Forecasting-Modell gebaut, welches in Teilbereichen akkuratere Ergebnisse liefert, als die Business-Forecasts herkömmlicher Art, und das bei erheblichen Einsparungen von personellen Ressourcen. (1)
  • Ein Freund aus Schulzeiten, heute tätig im Bereich Controlling eines großen Telekommunikationsunternehmen, erzählte mir kürzlich, dass er gerade in einem Projektteam arbeitet, dass sich mit der Entwicklung einer App für das Managementreporting beschäftigt.

Was haben alle diese Beispiele gemeinsam? Richtig, es handelt sich bei allen Unternehmen um Großunternehmen. Und dass bei Großkonzernen das oben skizzierte Szenario im Jahr 2028 eintreten wird, kann ich mir gut vorstellen. Schon heute befinden sich bei vielen Unternehmen im Bereich Finanzen Digitalisierungsstrategien in der Umsetzung. Und einige der oben beschriebenen Punkte sind bereits Realität.

Wie aber wird sich der Bereich Finanzen in Kleinstunternehmen, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU mit Jahresumsatz von ≤ 50 Millionen € und weniger als 500 Beschäftigten), die laut des IfM Bonn einen Anteil von 99,6% an der Gesamtanzahl der Unternehmen in Deutschland stellen, entwickeln?

Hier bin ich doch eher skeptisch was eine umfassende Digitalisierung des Bereiches Finanzen bis zum Jahr 2028 anbetrifft. Auf der einen Seite sind für umfangreiche Investitionen in IT-Systeme schlicht die finanziellen Spielräume nicht vorhanden, auf der anderen Seite fehlen aufgrund des geringeren Transaktionsvolumen die durch die Automatisierung erzielbaren Skaleneffekte.

Dennoch halte ich es für leichtfertig, dass sich viele mittelständisch geprägte Unternehmen mit der Digitalisierung des Bereiches Finanzen bisher nur am Rande oder gar nicht beschäftigen und mit der berühmten „Hand am Arm“ weitermachen wie eh und je. Dass selbst so relativ simple Vorgänge, wie beispielsweise das Buchen von Bankauszügen oder das Mahnwesen, bei kleineren Unternehmen häufig noch manuell durchgeführt werden, ist kaum verständlich. Und auch für die Konsolidierung in mittelständischen Unternehmen sollte Excel nicht mehr die erste Wahl sein. Auch dafür gibt es mittelstandstaugliche, sprich schlanke und preiswerte IT-Lösungen. Hier gibt es also viele Bereiche, in denen man das Thema Digitalisierung ganz pragmatisch und im Kleinen angehen kann.

Die Themen robotergestützte Prozessautomatisierung, Self-Service Reporting oder Predictive Analytics sind derzeit in der Tat nur welche für Großunternehmen. Dennoch lohnt sich die Auseinandersetzung mit diesen Themen auch für mittelständische Unternehmen. Denn was heute die großen Konzerne umtreibt, wird in Zukunft auch für kleinere Unternehmen verfügbar sein. Und in Zeiten der Digitalisierung kommt die Zukunft immer schneller als gedacht.

(1) Zeitschrift Controlling & Management Review; Springer Gabler Verlag; Hefte 2/2018 und 9/2017

Thorsten Soll

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