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Case-Studies und Blogbeiträge von professionellen Interim Managern und Interim Managerinnen

Automotive: Krisenmanagement in Vertrieb & Projektmanagement - Toxisches Projekt

Branche: Fahrzeugbau (Automotive – Zulieferer Tier 2)

Linienfunktion: Vertrieb – Global Head of Sales

Thema: Krisenmanagement, toxisches Projekt, Kundenzufriedenheit

Umsatz: >200 Mio. €

Mitarbeiter: > 1.200

Ausgangslage / Problemstellung:

Das Unternehmen hat ein toxisches Projekt an Bord, welches kurzfristig ein internes & externes Krisenmanagement sowie eine Lösung erfordert. Es besteht ein dringender, mehrdimensionaler Handlungsbedarf. Der betroffene Kunde ist einer der Top3-Kunden des Unternehmens. Die Problemstellung ist sehr komplex, vielfältig und diffus:

a) das Projekt ist in erheblichem Terminverzug;

b) die Bestellung der neuen Produktionsanalagen ist überfällig;

c) der SOP-Termin des Kunden ist massiv gefährdet;

d) die Herstellbarkeit des Produktes ist fraglich;

e) die technischen Produkt- und Kundenanforderungen lassen sich bestenfalls durch aufwendige, zusätzliche Arbeitsschritte und erhebliche Mehrkosten erfüllen;

f) die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für das Projekt und die Neuinvestitionen zeigen erhebliche kumulierte Verluste über die gesamte Produktlebensdauer;

g) die unmittelbaren Symptome dieses toxischen Projektes sind punktuell erkennbar, jedoch ist unklar, wie es so weit kommen konnte – und vor allem, wie das Unternehmen aus dieser schwierigen Lage wieder herauskommt.

h) Verschärft wird die Lage zusätzlich, da Kundenauftrag und Angebot offenbar inhaltlich voneinander abweichen, ohne dass sich nachvollziehen lässt, warum, denn die Dokumentation ist lückenhaft.

Optionen / Vorgehen:

In solch einer verfahrenen Situation gibt es keine Ideallösung mehr, sondern es geht um die Eindämmung der Schäden. Für das Vorgehen gibt es verschiedene Optionen, welche es zu prüfen und abzuwägen gilt:

Option 1: In der Serie dauerhaft erhebliche Verluste und eine hohe Ressourcenbindung in Kauf nehmen, um die eigene Reputation und das Verhältnis zum Kunden nicht weiterhin zu belasten und dauerhaft zu schädigen.

Option 2: Rückgabe des Projektes an den Kunden, was u.a. rechtlich problematisch ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, und in jedem Fall zu massiven Verwerfungen mit dem Kunden führt.

Option 3: Mit dem Kunden eine Kompromisslösung suchen und finden, was allerdings die finanziellen Schäden nur reduzieren kann.

Bei der Steuerung und Verhandlung letzten beiden Optionen (2 und 3) war in diesem Fall meine Erfahrung als Vertriebsleiter und erprobter Krisenmanager wertvoll.

Lösung:

a) Grundlage jeglicher Lösungsfindung ist stets eine tiefgehende Analyse des Projektes, der Historie und der Ursachen, was starken Einfluss auf die möglichen Handlungsalternativen und Verhandlungsstrategie mit dem Kunden hat.

b) Mit meinem Team konnte ich auch hier die typischen Ursachen als Fehlerquellen erkennen und identifizieren – wie beispielsweise ein  unzureichender Ressourceneinsatz in der Akquise- und Startphase, die Missachtung von Arbeitsanweisungen, eine ungenügende Anfrageprüfung und Herstellbarkeitsprüfung, fehlende interne Abstimmung und Prozesse, zu spätes Erkennen und Adressieren der Probleme.

c) Die Überprüfung bestätigte die zunächst unentdeckten, inhaltlichen Abweichungen zwischen Kundenauftrag und Angebot. Es zeigte sich, dass die Auftragsprüfung – wegen Kompetenzüberschneidungen, Urlaubsvertretung und fehlendem Bewusstsein für die gebotene Sorgfalt – nicht durchgeführt und das 4-Augen-Prinzip ignoriert wurde sowie nicht autorisierte Personen unterschrieben.

d) Erschwert wurde die Analyse durch eine lückenhafte Dokumentation, weil verantwortliche Mitarbeiter nicht mehr im Unternehmen und beteiligte Kollegen nur unvollständig in die Korrespondenz involviert waren. Zur Aufklärung der Historie mussten daher auch beim Kunden Informationen eingeholt werden.

e) Wie vermutet zeigte sich, dass es im Vorfeld auf beiden Seiten Fehler gab, was einen Ansatz für ein gewisses Entgegenkommen beim Kunden bot.

f) Mit meiner interdisziplinären Berufserfahrung, meinen analytischen Fähigkeiten und meiner Verhandlungsstärke half ich bei der Aufdeckung und Lösung des Problems, bei den Verhandlungen mit dem Kunden und bei der Anpassung der Prozesse, um solche Probleme künftig zu vermeiden.

g) Über meine Karriere bin ich dafür bekannt, stets die wirtschaftlichsten Projekte zu realisieren. Hierfür muss man jedoch bereit sein, den Meter mehr als andere zu gehen und nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern in die Tiefe zu gehen. Hinzu kommt eine konservative Herangehensweise bei der Angebots- und Projektplanung, eine Antizipation von Stolperfallen sowie höchste Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und Präzision in der Umsetzung. Diese Eigenschaften und Erfahrung waren auch bei Lösung einer solchen Krise nützlich.

Ergebnis:

a) Die tiefgehende Analyse der Projekthistorie bestätigte die oben in der Ausgangslage beschriebenen Probleme bzw. deckte diese teilweise überhaupt erst auf. Außerdem wurde das tatsächliche Ausmaß der Probleme und der damit verbundenen finanziellen Verluste über die Laufzeit aufgezeigt, was bei einzelnen Varianten nahezu eine Preisverdopplung erfordert hätte.

b) Insofern bestand intern Einigkeit, dass das Projekt in dieser Form untragbar wäre und es trotz des hohen Aufwandes, welchen man bereits in das Projekt hineingesteckt hatte, es am besten wieder an den Kunden zurückgegeben müsste.

c) Umgekehrt war klar, dass der Kunde dies nicht widerstandslos hinnehmen würde, denn ein Lieferantenwechsel zu dieser späten Phase wäre kaum noch möglich gewesen. Außerdem wäre dieser Schritt in Anbetracht der Bedeutung dieses Kunden ein massives Risiko für die künftige Zusammenarbeit und die Geschäftsentwicklung gewesen.

d) Dennoch wurde der Vertrag mit dem Kunden zunächst aufgekündigt, allein schon, um auf diesem Wege auch kundenseitig eine Verhandlungsbereitschaft für eine Kompromisslösung zu erzeugen. Unterstützend kam hinzu, dass es hier auch kundenseitige Fehler im Vorfeld des Vertrages gab, was ihn juristisch angreifbar machte und seinerseits eine gewisse Mitwirkungspflicht bedeutete, denn dieser war schließlich auch seinem OEM-Kunden rechenschaftspflichtig.

e) Letztlich konnte nach intensiven Verhandlungen eine Kompromisslösung erreicht werden, welche es ermöglichte, die Verluste erheblich reduzierten, u.a. auch durch eine Verlagerung an einen Niedriglohnstandort, wo die zusätzlich notwendigen Arbeitsschritte kostengünstiger ausgeführt werden können. Ferner wurde gemeinsam eine Lösung gefunden, um die verlorene Zeit für die Beschaffung der Anlagen zu überbrücken und den Hochlauf sicherzustellen. Letztlich blieb somit auch die Basis für eine weitere künftige Zusammenarbeit mit diesen wichtigen Kunden erhalten.

Robert Schirra

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Samstag, 07. Dezember 2024

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