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Case-Studies und Blogbeiträge von professionellen Interim Managern und Interim Managerinnen

Prozessoptimierung im Anlagenbau: schneller, digitaler, kostengünstiger

Branche: Maschinen- und Anlagenbau

Linienfunktion: Technik – Programm-Manager

Thema: Prozessoptimierung, Durchlaufzeiten

Umsatz: 230 Mio. Euro

Mitarbeiter750

Die Ausgangssituation: Gute Zahlen, schlechte Stimmung

Eigentlich ging es dem mittelständischen Anlagenbauer sehr gut. Die Umsätze entwickelten sich positiv, die Unternehmensgewinne stellten die Gesellschafter zufrieden. Und doch breitete sich zunehmend Unmut in der Belegschaft aus. Zwischen den Abteilungen krachte es immer mehr. Störungen in den Abläufen wurden persönlicher Missachtung und Respektlosigkeit zugeordnet. Statt miteinander zu sprechen, nahm der Mailverkehrt zu – und das mit einem gefährlichen CC-Verteiler.

Für die Geschäftsführung wirklich spürbar und messbar waren die länger werdenden Durchlauf- und eigenen Fertigungszeiten oder die steigenden Qualitätskosten. Zudem stieß die Organisation bei zunehmender Auftragslage immer mehr an seine Kapazitätsgrenzen.

Aufgabe

Um die Ursachen zu untersuchen und Lösungsansätze zu entwickeln, wurde zunächst ein Beratungs-Mandat vergeben, mit der primären Zielsetzung, die Prozesse zu analysieren und zu optimieren, allerdings ohne die Produktion. Daraus entwickelte sich ein Interim Management-Mandat mit 19 Teilprojekten.

Der Lösungsansatz

(1) Wie werden die aktuellen Geschäftsprozesse dargestellt?

Die Abwicklung der Kundenaufträge stellt die Aorta der Geschäftsprozesse dar. Dieser und die dazugehörigen Teil-Prozesse waren über das Projektmanagement-Tool „Wrike" dargestellt. Neben den wertschöpfenden Primärprozessen (Konstruktion, Beschaffung, Produktion, Distribution, etc.) waren dies auch die begleitenden Sekundärprozesse (HR, Rechnungswesen, QM, etc.).

Bei den Gesprächen mit den Mitarbeitern zeigte sich allerdings, dass die Prozessdokumentationen ungenügend bekannt, vielfach überaltert oder nicht eindeutig bzgl. der Verantwortlichkeiten waren und wenig gelebt wurden. Lediglich für das Managen von Projekten wurde das Tool umfangreich genutzt.

(2) Welche Hinweise auf Prozess-Störungen zeigt die Entwicklung der Geschäftszahlen?

Die Gegenüberstellung der GuV-Daten aus den letzten 5 Jahren zeigte Entwicklungen, die es zu hinterfragen galt. So war z.B. der Materialeinsatz sukzessive gestiegen. Bei einer weiteren Betrachtung auf Kontenebene wurde deutlich, dass z.B. auch die Reklamationskosten oder die Montagekosten anteilig zum Umsatz gestiegen waren. Diese, sowie weitere Kostensteigerungen waren nicht auf Anhieb erklärbar.

Es stellte sich die Frage, welche Gründe es für die Kostensteigerungen gab und, ob diese (auch) auf Störungen in den Prozessen zurückzuführen waren.

(3) Was sagen die Führungskräfte und Mitarbeiter dazu, „wo der Schuh drückt"?

Um mögliche Prozess-Störungen zu identifizieren, wurden zunächst in einer umfangreichen Befragung über alle Abteilungen und Hierarchien hinweg Problemstellungen und Konfliktsituationen abgefragt. Dabei zeigte sich, dass vor allem Störungen an den Schnittstellen zwischen den Abteilungen das größte Konfliktpotenzial darstellten. Zudem kam es aber auch bei der Kommunikation mit Kunden und Lieferanten zu Störungen, die z.T. zu einem erheblichen zusätzlichen Kostenaufwand führten.

Beispiel 1: Der Vertrieb versuchte zunehmend „karrierte Maiglöckchen" zu verkaufen und auf die allerletzten Wünsche der Kunden einzugehen, was zu großem Unmut und erhöhter Belastung in der Konstruktion oder auch einer unkontrollierbaren Zunahme neuanzulegender Artikel führte.

Beispiel 2: Der Einkauf beklagte gegenüber dem Vertrieb und der Konstruktion zu späte Informationen bzgl. der Beschaffung von Langläufern. Dies führte zunehmend zu Expresslieferungen mit deutlich höheren Kosten.

Beispiel 3: Die manuelle Rechnungseingangsprüfung und Freigabe über verschiedene Abteilungen und Ebenen in Abhängigkeit von der Höhe des Rechnungsbetrages führte bei zunehmender Anzahl von Aufträgen – aber auch durch eine steigende Anzahl von Lieferanten – zu einer immer höheren Belastung der personellen Kapazitäten.

Aufgrund der Vielzahl der gemeldeten Störungen bei der Befragung musste nun eine Bewertung dieser Vorgänge erfolgen, um für die weitere Vorgehensweise eine Priorisierung und eine möglichst ergebnisorientierte Optimierung sicherzustellen, um „nicht mit Kanonen nach Spatzen zu schießen".

(4) Wie lassen sich Prozess-Störungen eigentlich bewerten?

Die Bewertung von Störungen in den Prozessen in den administrativen Abteilungen war ein schwieriges Unterfangen. Hierzu wurden zunächst verschiedene Lösungsansätze auf ihre Eignung hin geprüft.

(4a) Digitale Lösungen

In der Fertigung gibt es sie schon lange, die BDE-Systeme, mit denen Prozessschritte digital zeitllich erfasst und bewertet werden. Über Terminals an den Maschinen werden dazu nach Auftrag (z.B. Rüsten, Anlauf, Unterbrechung) oder Aufgabe (z.B. Reparatur, Wartung) die Start- und Endzeiten automatisiert oder manuell gemeldet. Eine der wichtigsten Kenngrößen ist dabei die OEE (Overall Equipment Effectiveness).

In administrativen Abteilungen können IT-Lösungen am Rechner oder auch über Apps dann eingesetzt werden, wenn z.B. zuordenbare Tätigkeiten (insbesondere am Rechner) über einen Zeitraum von mehreren Stunden, wie in der Konstruktion, der Entwicklung oder bei der Angebotserstellung erfolgen.

Je kürzer die einzelnen Tätigkeiten und umfangreicher die Aufgabenvielfalt sind, umso schwieriger und aufwändiger wird die Zeiterfassung. Kommen dann noch rechnerferne Tätigkeiten, wie z.B. Telefonate, Besprechungen oder Wegzeiten innerhalb des Unternehmens dazu, dann steht der digitale Meldeaufwand und die Zuordnung der Tätigkeiten nicht mehr im Verhältnis zu den gewünschten Analyse-Ergebnissen. Zudem müsste die Zeiterfassung in Hinblick auf eine verlässliche Repräsentativität über einen möglichst langen Zeitraum (mehrere Monate) erfolgen. Dafür hätte es in der Belegschaft nicht die erforderliche Akzeptanz gegeben.

Und dann ist da ja noch der Betriebsrat, der in der Zeiterfassung eine Überwachung der einzelnen Mitarbeiter sah und deshalb einer solchen Maßnahmen nicht zugestimmt hätte.

Was also tun, um eine Bewertung administrativer Prozess-Schritte vornehmen zu können.

(4b) Vorgangsbezogene Bewertungen

Die in den Gesprächen mit den Mitarbeitern qualitativ erfassten Störungen wurden einzeln bewertet (z.B. Zeitaufwand und damit Personalkosten, sowie Sachkosten je Reklamations-Vorgang) und über die gesamte Anzahl der Vorgänge im Jahr auf die dadurch jährlich entstehenden Kosten hochgerechnet.

Parallel zur Kostenbewertung erfolgte dabei auch schon die Skizzierung möglicher Lösungsansätze mit Einsparungszielen. Um diese Abschätzung der Kosten und Einsparungen abzusichern, wurden die Bewertungen in weiteren Gesprächen mit Mitarbeitern unterschiedlicher Abteilungen diskutiert und ggf. angepasst.

(4c) Bewertung der Tätigkeiten über den Ressourcen-Einsatz (Workload) der Mitarbeiter

Neben den genannten Störungen, die zu (zusätzlichen) Kosten führten, war zu prüfen, inwieweit es Tätigkeiten gab, die nicht als Störungen wahrgenommen wurden, aber mit einem relativ hohen manuellen Aufwand verbunden waren. Dazu gehörten Aufgaben wie z.B. die Rechnungsprüfung, die Bearbeitung von Auftragsbestätigungen, die Qualitätsprüfung im Wareneingang oder die Beschaffung von niedrigwertigen C-Teilen durch den Einkauf. Alles Aufgaben, für die es digitale Lösungen gab.

Für die Aufwandsbewertung solcher Aufgaben wurde eine Workload-Analyse durchgeführt, bei der die eingesetzten personellen Ressourcen nach Aufgabe abgefragt wurden. Hierzu benannten die Bereichsleitungen jeweils die 15-20 wichtigsten und häufigsten Tätigkeiten der Mitarbeiter. In einer anschließenden Umfrage trugen alle Mitarbeiter eine prozentuale Abschätzung ein, wieviel ihrer Arbeitszeit für die vorgegebenen Tätigkeiten im Verlaufe eines Jahres aufgewendet wird. In Ergänzung zu den von der Bereichsleitung genannten Aufgaben konnten zusätzlich weitere Aufgaben mit einem hohen Aufwand aufgeführt werden.

Als eines der Ergebnisse zeigte die Workload-Analyse beispielsweise auf, dass sich im Einkauf 1,4 FTEs (Full Time Equivalents) mit der manuellen Bearbeitung von Auftragsbestätigungen beschäftigen, was jährlichen Personalkosten von rund 90 T Euro entsprach.

(5) Welche digitalen Lösungen gibt es auf dem Markt?

Im nächsten Schritt wurden Lösungen aufgezeigt, über die Prozesse optimiert werden können.

Dazu gehörten u.a.:

Um die damit verbundenen Investitionen den möglichen Einsparungen gegenüberzustellen, wurden Lastenhefte für verschiedene digitale Lösungen zu den Aufgaben erstellt und an ausgewählte Dienstleister und IT-Anbieter zur Einholung von Angeboten versandt.

Auf Basis der eingehenden Angebote, aber auch der Firmen- und Produkt-Präsentationen, sowie den definierten Einsparungspotenzialen und -zielen entschied man, für welche Optimierungsmaßnahmen eine Investition zu einem akzeptablen ROI führen würde.

(6) Wie erfolgt die Priorisierung der vielfältigen Handlungsfelder?

Aus der Liste der optimierungswürdigen Vorgänge galt es nun, Handlungsfelder zu definieren und darin die Problemstellung, den Lösungsansatz, sowie den voraussichtlichen Aufwand (Personalkosten, Dienstleistung, Investitionen), aber auch das angestrebte Ergebnis, bzw. Einsparungspotenzial zu beschreiben. Dabei konnten von den vorher definierten Optimierungsansätzen mehrfach welche in einem Handlungsfeld zusammengefasst werden.

Nach der Darstellung aller Handlungsfelder erfolgte für die weitere Umsetzung eine erneute Priorisierung in Abhängigkeit vom erwarteten ROI.

(7) Wie können die (Teil-)Projekte agil umgesetzt werden?

Die Handlungsfelder waren Basis für das Aufsetzen von Teil-Projekten. Dabei bestand die erste Herausforderung darin, die richtigen Projektteilnehmer auszuwählen. Dazu half die bei den Mitarbeitergesprächen am Ende gestellte Frage: „Was würden Sie tun, wenn Sie Geschäftsführer wären". Die Antworten reichten vom reinen „Schulterzucken" bis hin zur Vorlage eines vorbereiteten und erstaunlichen Maßnahmenpapiers. Damit waren die „kreativsten und veränderungswilligsten Mitdenker" identifiziert. Leider waren aber gerade diese Mitarbeiter bereits vielfach in anderen Projekten eingebunden. Es wurde deshalb mit wenigen Teilprojekten begonnen, die von den verfügbaren Ressourcen ohne das Risiko einer Überbelastung gestemmt werden konnten.

Bei der Umsetzung der Projekte erfolgte eine permanente Messung und Überprüfung der erreichten Milestones und Projektziele. Bei Bedarf wurden die geplanten Maßnahmen und Aktivitäten pragmatisch und agil angepasst. Das Programm-Management erfolgte dabei über den Berater, verbunden mit einer engen und regelmäßigen Kommunikation mit der Geschäftsführung und den Stakeholdern.

(8) Müssen freiwerdende Mitarbeiter-Kapazitäten automatisch zu Personalabbau führen?

Eines der wesentlichen Ziele in jedem Prozessoptimierungs-Mandat ist die Reduktion des Einsatzes von personellen Ressourcen. Einsparungen werden zum großen Teil über freiwerdende FTEs und die damit reduzierten Personalkosten definiert. Die logische Folge wäre auch hier der Abbau von Mitarbeitern gewesen. Eine kurzfristig ergebniswirksame, mittelfristig jedoch wohl fatale Lösung. Man hätte Erfahrung und Knowhow verloren, die Belegschaft weiter verunsichert, die Motivation für einen Arbeitgeberwechsel auch bei den verbleibenden Mitarbeitern erhöht. Der künftig erforderliche Ersatz für ausscheidende oder wechselnde Mitarbeiter wäre gerade vor dem Hintergrund des aktuell schwierigen Arbeitsmarktes zu einer großen Herausforderung geworden. Hinzu wären Themen mit dem Betriebsrat und/oder der Sozialauswahl zu bewältigen gewesen.

Also, was tun?

Bei der Analyse der Workload zeigte sich, dass für einige wichtige – nicht operative – Aufgaben zu wenig Zeit zur Verfügung stand. Dazu gehörten z.B. die Neukundenakquise, der strategische Einkauf oder die Qualitätssicherung. Mit relativ geringem Aufwand gelang es in dem Mandat, wertvolle Mitarbeiterressourcen der freiwerdenden Kapazitäten für neue/andere Aufgaben – z.T. auch abteilungsfremd – einzusetzen.

Das Ergebnis

Im Rahmen des Mandats wurden insgesamt 19 Teilprojekte aufgesetzt, mit folgenden Ergebnissen:

Umgesetzte und begonnene digitale und organisatorische Maßnahmen (Auszug):

  • Festlegung von Funktions-Modulen für die Auslegung von Anlagen - bereits für die Angebotsphase
  • Erstellung eines modularen Baukastens für Anlagenkomponenten
  • Testläufe mit ausgewählten Konfiguratoren im Vertrieb
  • Begrenzung von neuen Artikeln durch Sondergenehmigung und damit Stopp der Artikelexplosion
  • Automatisierte Bestellanforderung aus der Stückliste
  • Materialbeschaffung über ein eProcurement-System mit (1) Automatischer Prüfung der Auftragsbestätigung, (2) Software-gestützter Terminverfolgung und (3) Gutschriftenverfahren statt Lieferantenrechnung und damit Wegfall der Rechnungsprüfung
  • Direkte Bestellung (ohne Einkauf) von Betriebsmitteln und PSA-Artikeln durch die Mitarbeiter über eine Einkaufsplattform mit festgelegten Budgets und Freigabeprozessen für die Anforderer
  • Ausbau des strategischen Einkaufs mit Sourcing-Aufgaben, insb. bei Single-Source Lieferbeziehungen
  • Verlagerung der Wareneingangskontrolle auf die Warenausgangkontrolle beim Lieferanten durch ein - in der Konstruktion automatisch erzeugtes - Prüfprotokoll mit definierten Prüfmaßen
  • Entzerrung der Anlieferungsspitzen durch ein WE-Terminbuchungstool für Lieferanten und Spediteure
  • Aufbau eines Make-or-Buy Entscheidungs-Tools nach dem TCO-Ansatz (Total Cost of Ownership)
  • Einbindung und Kommunikation mit allen Abteilungen der Supply Chain bereits ab der Angebotsphase
  • Anpassung und/oder Neugestaltung der Prozessdarstellungen in Wrike

Wesentliche Mandats-Ergebnisse:

  • Jährliche Einsparungen: 6,2 Mio Euro (ca. 3 % vom Umsatz)
  • Investment:1,2 Mio Euro
  • Reduktion der Durchlaufzeiten: ca. 20 %

Das Mandat hatte nicht nur zu positiven und ergebniswirksamen Verbesserungen geführt, sondern auch eine veränderungsbereite Denkweise und höhere Motivation in der Belegschaft erzeugt.

Herbert Baumann
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